In Deutschland hat kein Online-Dienst mehr Nutzer als Youtube. 56 Millionen Menschen im Monat klicken sich durch die Videos oder lassen sich von den Clips berieseln. Spätestens, seit Google 2006 die Plattform für rund 1,3 Milliarden Euro übernommen hat (aus heutiger Sicht ein Spottpreis), wurde aus Youtube ein globales Medienphänomen.

Heute ist der Videodienst ein zentraler Bestandteil moderner Markenkommunikation und der Creator-Economy. "Youtube hat Trends hervorgebracht, die weit über das Internet hinauswirken. Und es ist für viele – vor allem jüngere – Menschen längst das neue, das personalisierte und interaktive Fernsehen", erklärt im Talk mit W&V Andreas Briese, der erste Mitarbeiter des Unternehmens in Deutschland – und seit 2008 Youtubes "Country Director for Germany".

Connected TV: Youtube mitten im Wohnzimmer

Youtube hat sich vom reinen Videoportal auf Smartphone, Tablet und Computer zum festen Bestandteil des Wohnzimmers entwickelt. 21 Millionen Menschen in Deutschland nutzen die Plattform monatlich über den Fernseher. Connected TV verbindet die Reichweite und das immersive Erlebnis des klassischen Fernsehens mit der Präzision und Interaktivität digitaler Kanäle – eine Symbiose, die Marken auch in Sachen B2B neue Chancen eröffnet.

Durch die höhere Aufmerksamkeit und längere Verweildauer lassen sich komplexe Inhalte wie Produktdemos, Case Studies oder Experten-Talks in einem hochwertigen Umfeld optimal präsentieren. Anders als beim traditionellen TV ermöglicht Youtube Connected TV eine gezielte Ansprache spezifischer Zielgruppen.

Dank der Integration von Daten- und Analyse-Tools können Marken ihre Kampagnen präzise auf Branchen, Interessen und demografische Merkmale zuschneiden. Obendrein bietet Connected TV detaillierte Einblicke in die Kampagnen-Performance. B2B-Marken können das Fernseh-Youtube nutzen, indem sie Content-Formate optimieren, interaktive Werbekampagnen schalten oder mit passenden Creators kooperieren.

Reichweite und Werbewirkung

Eine aktuelle Studie zeigt, dass 83 Prozent der deutschen Internetnutzer über Youtube-Anzeigen erreichbar sind – mehr als auf jeder anderen Plattform. Besonders bei jungen Zielgruppen übertrifft dieser Wert klassische TV-Angebote in Nutzung und Reichweite deutlich.

Die Werbewirkung zieht mit: Laut einer Studie erinnerten sich 14 Prozent der Zuschauer nach einer Pre-Roll-Anzeige bei Youtube spontan an die Marke – doppelt so viele wie nach einem Facebook-Video-Ad (7 Prozent) und fast so viele wie im TV-Werbeblock (18 Prozent). Damit wirkt Werbung im klassischen Bewegtbild offenbar stärker als in sozialen Medien.

Die Creator Economy wird erwachsen

Youtube hat früh den Grundstein für die heutige Creator Economy gelegt. 2007 startete das Partnerprogramm, das es Creatorinnen und Creators ermöglicht, Werbung vor den eigenen Videos zu schalten und damit Einnahmen zu erzielen. "Youtube war die erste Plattform, die ein Revenue Share angefangen hat", betont Marie Diederich, Gründerin des Gartenkanals "Wurzelwerk" mit knapp 500.000 Abonnenten.

Damit konnten Einzelpersonen erstmals durch Online-Videos ein Einkommen erzielen – losgelöst von klassischen Medienhäusern. Was anfänglich als "Plattform der Katzen und Hunde auf Skateboards" belächelt wurde, hat sich zu einem professionellen Wirtschaftszweig entwickelt. Briese spricht von Creators als den "neuen Hollywood-Startups": "Mittlerweile sind das echte Unternehmer. Viele produzieren mit einer Qualität, die vergleichbar ist mit klassischem TV oder Kino."

Die Erfolgskanäle aus Deutschland

In Deutschland gibt es inzwischen über 50.000 Youtube-Kanäle mit mehr als 10.000 Abonnenten, rund 9.000 Kanäle mit über 100.000 Abos und 700 mit mehr als einer Million. Hinter diesen Erfolgsgeschichten stehen oft Teams und Firmenstrukturen. "Kurzgesagt – In a Nutshell" etwa, bekannt für animierte Wissensvideos mit 23,9 Millionen Followern, startete 2013 als Ein-Mann-Projekt und wuchs "seit 2015 von weniger als 10 Leuten auf inzwischen über 70 Leute" an, wie Elisabeth Steib, Head of Research and Text des Kanals, berichtet.

Ähnlich hat Garten-Influencerin Marie Diederich ihr einstiges Hobby in ein blühendes Unternehmen verwandelt: "Ich mache Videos rund um Gemüsegarten und Selbstversorgung, mit mittlerweile 27 Leuten in meinem Team", verrät sie. "Ich habe das nie angefangen, um ein Business draus zu machen, sondern einfach, um meine Leidenschaft zu teilen. Und es ist so cool, dass es so gekommen ist."

Vom Alleinunterhalter zum Unternehmer

Auch Simon Haase alias ClayClaim hat den Schritt vom Einzelselbstständigen zum Unternehmer geschafft. Der gelernte Webdesigner entdeckte auf Youtube eine Nische: Er modelliert Figuren aus Knetmasse – oft Popkultur-Charaktere aus Videospielen – und lässt sie in Stop-Motion-Filmen lebendig werden.

Heute betreibt er ein eigenes kleines Filmstudio in Remscheid und hat die Produktlücke geschlossen: Während der Pandemie brachte Haase eine eigene Werkstatt-Linie mit Knetwerkzeug auf den Markt, weil große Hersteller zeitweise nicht liefern konnten. Sein Kanal richtete sich von Beginn an international aus – alle Videos sind auf Englisch: "Ich dachte mir, wenn es floppt, hätte ich wenigstens mein Englisch verbessert." Heute kommen über 60 Prozent seines Publikums aus den USA. 80 bis 90 Prozent der Knet-Tools gehen nach Nordamerika.

Neue Erlösquellen für Creators

Die Beispiele zeigen: Aus Creators werden Marken, aus Youtube-Kanälen werden Unternehmen. Viele Creators setzen inzwischen lieber auf ihre eigene Marke als auf Fremdwerbung. "Es ergibt für mich gar keinen Sinn, mit einer anderen Marke zusammenzuarbeiten", meint Marie Diederich, die durch ihren Shop komplett unabhängig agieren kann.

Für Marken und Unternehmen bedeutet dieser Trend, dass Influencer-Kooperationen strategischer und partnerschaftlicher geworden sind. Erfolgreiche Youtuber bringen ihre eigenen "Markenwelten" mit und legen Wert auf Authentizität bei der Zusammenarbeit.

Neue Features für Werbetreibende

Youtube passt sich kontinuierlich an, um für Creators und Werbetreibende attraktiv zu bleiben. Ein Beispiel ist Youtube Shorts: 2021 führte die Plattform das Kurzvideo-Format ein – eine sehr späte Antwort auf TikTok, aber mit durchschlagendem Erfolg. Inzwischen werden Shorts weltweit über 70 Milliarden Mal im Monat aufgerufen.

Für Creators bietet sich damit eine weitere Bühne, um Zuschauer zu gewinnen – und für Werbekunden erschließt Shorts ein hoch engagiertes Mobile-Publikum. Ein Viral-Hit aus Deutschland war etwa der "Barbaras Rhabarberbar"-Short von Musikcomedian Bodo Wartke, der global zum Meme wurde.

Vor allem aber investiert Youtube verstärkt in KI-gestützte Tools, die Content-Erstellung und -Verbreitung vereinfachen. Ganz frisch ausgerollt wird die Auto-Dubbing-Funktion: Sie erzeugt automatisch fremdsprachige Tonspuren für Videos. Perspektivisch wächst so auch für Marken die potenzielle Reichweite ihrer Inhalte über Sprachgrenzen hinweg. Daneben experimentiert Youtube mit generativer KI. Seit Kurzem steht Veo 2 bereit – eine Software von Google, die aus Texteingaben kurze Videoclips generiert.

KI-Tools für Kreation und Targeting

KI, glaubt Urgestein Andreas Briese, werde die Video-Werbung revolutionieren. Das gilt sowohl in der Kreation durch personalisierte, AI-generierte Werbespots als auch im Targeting – also beim Ausspielen der richtigen Botschaft an die richtige Zielgruppe. Werbetreibende können perspektivisch auf noch präzisere Daten und automatisierte Kampagnenoptimierung setzen, während Creators von KI-Unterstützung bei Routineaufgaben wie Schnitt, Thumbnails oder Übersetzungen profitieren.

Antworten auf TikTok Shop

Auch E-Commerce und Community-Funktionen gewinnen bei Youtube zunehmend an Bedeutung. Produkte lassen sich schon jetzt direkt in Videos taggen und per Klick erwerben. Shopping-Integrationen sollen weiter verbessert werden, damit Creators Produkte nahtlos in ihren Kanal einbinden können. Für Marken entstehen so zusätzliche Touchpoints, um im Umfeld beliebter Creators präsent zu sein – sei es durch sichtbare Produktplatzierungen oder gemeinsame Promotions.

Neue Tools und Formate sollen Marken und Contentanbieter noch enger zusammenbringen. Das neue Premium Lite-Abo, das in Deutschland gerade für 5,99 Euro pro Monat gestartet ist, ermöglicht es, einen Großteil der Inhalte werbefrei zu sehen. Für Marken heißt das: Die Bedeutung von organischem, hochwertigem Content wächst weiter – und die Zusammenarbeit mit Creators, die ihre Community wirklich erreichen, wird noch wertvoller.

Die Langlebigkeit von Youtube-Content ist ein weiterer Pluspunkt für die B2B-Kommunikation: Videos bleiben über Jahre auffindbar und relevant, was nachhaltige Markenbindung und langfristige Sichtbarkeit ermöglicht.

Auf die nächsten 20 Jahre!

Fazit: 20 Jahre nach seinem Start ist Youtube auch in Deutschland so relevant wie nie: als Reichweiten-Platzhirsch im digitalen Werbemarkt, als Spielwiese für Kreative und als Brücke zwischen Marken und Communitys. Die Plattform hat sich vom Videoportal zum multifunktionalen Ökosystem entwickelt. Und wenn Mars, Bosch und Kaufland 2024 die erfolgreichsten Marken im deutschen Youtube waren, kann dieses Ranking 2025 schon wieder völlig anders aussehen.

Für PR- und Marketing-Profis bedeutet das eine Fülle von Möglichkeiten – aber auch die Herausforderung, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Eines jedoch bleibt konstant, um es mit Ur-Youtuber Andreas Briese zu sagen: "Die Stimme von Youtube sind nicht wir, sondern die Creators und ihre Inhalte." Sie machen die Plattform lebendig – und werden das wohl auch in den nächsten 20 Jahren tun.

Mut, Kompetenz und Leadership-Qualitäten: Das zeichnet die W&V Top 100 aus. >>> Hier findest Du alle W&V Top 100/2025: Menschen, die was bewegen.


Autor: Jörg Heinrich

Jörg Heinrich ist Autor bei W&V. Der freie Journalist aus München betreut unter anderem die Morgen-Kolumne „TechTäglich“. Er hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Internet und Social Media künftig funktionieren, ohne die Nutzer auszuhorchen. Zur Entspannung fährt er französische Oldtimer und schaut alte Folgen der ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck.