
Mr. C versus Mr. Media:
„Content wirkt tatsächlich: Es macht sauer und wütend“
In loser Folge führt W&V ein Experiment: Johannes Ceh, Digitalberater aus München, und "Mr. Media" Thomas Koch diskutieren im Briefwechsel aktuelle Themen, die sie bewegen. Heute: Mr. Medias Antwort auf Johannes Cehs "Content-Blase". Sie widmet sich dem Premium-Content.

Foto: Thomas Koch
Lieber Johannes Ceh,
nun geht unser Dialog zu Content Marketing schon in die 4. und vielleicht letzte Runde. Ihr jüngster Brief an mich triefte förmlich vor Richtigkeiten. Ja, wir brauchen mehr Haltung, damit Content nicht zum Phrasenschwein verkommt. Ja, wir müssen die Silos einreißen, die unsere Branche besser beherrscht als jede andere (so kommt es mir vor). Ja, wir müssen Transparenz und Messbarkeit steigern, damit unsere Kunden merken, dass Content Marketing mehr ist als nur eine der unzähligen Blasen. Dass Content keinesfalls im "Wettbewerb" zu Influencer & Co steht. Ja, wir brauchen einen Code of Conduct für Native Advertising. Dringender denn je. Und ja, wir brauchen mehr Macher. Alles richtig, mein Guter.
Ich verstehe auch gut, dass Sie sauer sind. Sauer auf unsere Branche, die Content nicht gebacken kriegt. Es ist komplexer als der Käsekuchen Ihrer Mutter (von dem ich beim nächsten Mal unbedingt ein Stück abhaben möchte!). Ob die angekündigte, aber immer noch nicht gestartete Kampagne der Werbeverbände das inzwischen Jahrzehnte alte Nachwuchsproblem richtet - da bin ich mir nicht ganz so sicher wie Sie. Aber ich urteile zu früh. Wir werden sehen.
Keine Kritik, kein Lob
Sie sind also sauer. Ok. Wissen Sie, was ich bin? Ich bin wütend. Dies hier ist ja kein Branchen-Bashing, sondern der Versuch zweier erfahrener Berater, eine Lösung zu finden. Eine, die unsere Kunden weiterbringt und eine, die unsere Branche voranbringt. Und? Wie ist die Reaktion bisher? Ein paar Schulterklopfer, Likes, Favs und Twitter-Herzchen. Gab es Lob von Kundenseite? Nein. Gab es Kontakte seitens der Verantwortlichen in den Verbänden? Hmm. Also, lieber Herr Ceh, entweder hört uns keiner zu. Oder unsere bisherigen Erklärbär-Versuche waren grottenschlecht. Doch Kritik habe ich auch keine gehört. Irgendwas machen wir demnach falsch.
Ich starte mal einen weiteren Versuch. Die bisherigen Ansätze, Content Marketing zu definieren und damit von lapidarer Reklame abzugrenzen, fruchten nicht so wirklich. Das liegt vermutlich daran, dass niemand liest, was ein Verband von sich gibt. Anders ist kaum zu erklären, dass Hinz und Kunz heutzutage an fast jede Kampagne das Etikett "Content" drankleben, obwohl es nur Werbekampagnen sind, die - wie seit hundert Jahren üblich - mit Inhalten arbeitet. So kommen wir nicht weiter.
Vielleicht liegt es daran, dass wir nicht genügend mit Beispielen arbeiten, die veranschaulichen, was genau mit Content gemeint ist. Und wie sich dieser Content sinnvoll und beispielhaft mit einer Marke verbinden lässt, damit sie davon (ja, messbar) profitiert. Wir brauchen vielleicht so etwas wie eine "Hall of Fame".
Haltung ist die Voraussetzung für guten Content
Ihr Ansatz, dass "Haltung" unabdingbar die Voraussetzung bildet für erfolgreiches Content Marketing, hat was. Man kann Haltung gewiss nicht ausschließlich zur Verantwortung ziehen, aber es funktioniert. Ich will das an einem Beispiel vorführen.
Im Augenblicksorgt eine Kampagne von Heineken weltweit für Aufsehen. Die Absatzwirtschaft beschriebt das Experiment wie folgt: "Gesellschaftlich brisante Themen werden heutzutage heiß und hitzig in den sozialen Medien diskutiert. Der Bierbrauer Heineken hat in England einen anderen Weg gefunden und bringt Menschen aus unterschiedlichen Welten in einer Lagerhalle zusammen. Dabei wird es zur Nebensache, dass das Bier eigentlich im Mittelpunkt der Handlung stehen sollte."
Die Kampagne wird bereits als die Kampagne des Jahres gefeiert. Wir sehen sie ganz sicher in Cannes wieder. Besonders daran ist, dass Heineken ein gesellschaftlich relevantes Thema aufgreift, sich zum Inhaber des Contents macht, seine Zielgruppe mit dem Ergebnis positiv überrascht, die Diskussion auf wertvolle Weise bereichert und seine Marke fast nebensächlich aber dennoch gekonnt sichtbar platziert. Heineken beweist mit dieser Kampagne Haltung.
Deutschland, Du kannst es
Der einzige Wermutstropfen: Es ist schon wieder eine ausländische Kampagne, die wir hier feiern. Doch wenn man genau hinsieht, können die deutschen Werber durchaus mithalten.
Jede Hornbach-Kampagne betreibt in meinen Augen Content Marketing. Die Marke nimmt sich immer zurück, um Platz zu machen für inhaltvolle Geschichten rund ums Heimwerken, die den Heimwerker, seine Welt und seine Träume in den Vordergrund stellen. Vor allem: Mit jeder neuen Kampagne beweist Hornbach Haltung. Am besten gelang es vielleicht mit "Gothic Girl". Noch überzeugender mit der "Du lebst. Fühl es"-Kampagne, die verschiedenste Gegenstände tatsächlich erfühlbar machte. Ein ebenso illustres Beispiel ist die Content-Initiative der Sparkassen. Haltung beweisen die Banker damit, weil die Marke zwar erkennbar Absender ist, aber die Absicht im Vordergrund steht, den Kunden gegenüber eine wertvolle Hilfestellung zu leisten. Auf Berentzen und seine "Echtland"-Kampagne sei nur am Rande verwiesen.
Wenn das alles richtig ist, wenn Haltung für Content eine solch immense Bedeutung besitzt, stellt sich nur noch die Frage: Muss jede Marke Haltung beweisen, um sich vom Content-Kuchen eine Scheibe abzuschneiden? Die Antwort ist ein klares Nein. Wenn eine Marke einfach nur in Ruhe verkaufen will, ist das völlig in Ordnung. Denn Verkaufen ist und bleibt der Hauptzweck der Werbung. Daran wird auch Content Marketing nichts ändern.
Premium versus Kauf mich!
Wenn sich eine Marke jedoch einer Sache verschreiben will, die über reines Verkaufen hinaus geht, wenn sie ihrer Zielgruppe eine Botschaft vermitteln will, die über "Kauf mich!" hinausgeht, weil sie glaubt, dass sie damit Menschen stärker an sich binden kann, dann ist Haltung unabdingbar. Sie muss nur echt und ehrlich sein.
Echt und ehrlich sind jedoch die beiden bösen, kleinen Schwestern der Werbung. Nur ein Teil der Marken kann das wirklich für sich beanspruchen. Das hat allerdings zur Folge, dass wir deutlich weniger Kampagnen mit "Content" branden könnten. Das wiederum wäre gut, denn dann erübrigt sich der Streit um die Definition. Und Content wäre so werthaltig, dass immer mehr Unternehmen danach lechzen.