Trump schneidet bei der Wahl deutlich besser ab als erwartet. Hatte er die bessere Marketing-Kampagne?

Das Land hatte vielmehr die schlechtere Marktforschung. Die war es ja, die die Erwartungshaltung schürte. Vielen Menschen ist die Person schlichtweg peinlich - auch wenn fast die Hälfte der Amerikaner verschiedene politische Inhalte der Republikaner als richtig teilen. Der Marktforschung ist es nicht gelungen, aufgrund erwarteter sozialer Unerwünschtheit formulierten Schwindel von Befragten zu erkennen. Kein Wunder, sie berücksichtigt nicht aktuelles Marktforschungswissen, wie etwa die Analyse nonverbaler Kommunikation. Sie setzte stattdessen z.B. auf schnelle Telefoninterviews.

Verändern die aktuellen Biden- und Trump-Auftritte vom Wahltag die Personenmarken der beiden Politiker?

Mit diesem W&V-Sprech würden Sie Trump überglücklich machen. Genau so sieht er sich, die "weltbeste" Personenmarke, versteht sich. "Entertainer in Chief", eben. Und tatsächlich treibt diesen Mann offensichtlich weder Politik noch Unternehmertum an, das Wohl anderer Menschen schon gar nicht. Auch Inhalte nicht wirklich. Sondern nur eines: seine eigene Geltungssucht, der er selbst während und nach seiner Covid 19-Erkrankung nicht abzuschwören vermochte. Da bleibt sich Trump treu. Was auch für Biden gilt: versöhnend und langweilig. Noch heute sind viele davon überzeugt, dass J.F. Kennedy Präsident wurde, auch weil Nixon in der TV-Debatte 1960 schwitzte und der charismatische - gar nicht langweilige - Kennedy nicht...

Der Ausgang der Wahl ist weiterhin offen. Wie wirkt sich diese unklare Situation auf die Stimmung im Land und das Konsumverhalten aus? 

In der Corona-Zeit ist vieles ohnehin anders. Die Börsen haben diese Situation schon eingepreist. Aber wenn Undemokratisches noch offenbarer werden sollte, wird es nicht reichen, von angeheizter Stimmung zu sprechen!

Trumps Politik gilt als sehr wirtschaftsfreundlich. Zurecht?

Die breite Ablehnung von Trump durch aufgeklärte Medien und Bürger half ihm politisch. Damit punktete er als Feind der Feinde der amerikanischen Mittelschicht, die sich zu oft der Verachtung der "linksintellektuellen Oberklasse" ausgesetzt fühlte. Trumps Spaltung der Gesellschaft rückt sogar sonst wahlentscheidende Fragen in den Hintergrund, die auch die Wirtschaft betreffen.

Während seiner Amtszeit hat es keinen Krieg gegeben, und die Arbeitslosigkeit befand sich vor Corona mit 3,5 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit Dezember 1969. Langfristig jedoch wird die Beschädigung der Demokratie, die Spaltung der Nation auch der Wirtschaft schaden. Zukunftsentwicklungen, die unsere Gruppe unter Auswertung von Trilliarden Daten der Veränderung fortwährend als Grundlage unserer Beratung nutzt, zeigen eines eindeutig: Kollaboratives Tun wird Gesellschaften prägen, ganz gleich, ob wir von Bürgergesellschaften oder Unternehmen sprechen.

In gemeinschaftlicher diverser Zusammenarbeit schlägt die bessere Lösung die gute. Weil Konsens erreicht werden kann, auch wenn er oft auf Basis eines Kompromisses erzielt wird. Teilhabe ist morgen, Herrschaftswissen ist gestrig, auch wenn viele, darunter Wirtschafts- und Staatslenker wie Trump, das noch nicht wahrhaben wollen. Teilhabe ist der Herzschlag der Demokratie. Spaltung ist jedoch ihr Herzinfarkt! Und nichts ist wirtschaftsfeindlicher als das.

Prof. Bernd Thomsen lebt in Miami und Hamburg, ist CEO der Thomsen Group, einer globalen Managementberatung mit Zukunftsexpertise, die seit mehr als 35 Jahren ausgewählte Regierungen und Unternehmen der wichtigsten Industrien dabei unterstützt, Chancen des Wandels zu nutzen. Thomsen ist Zukunftsforscher, Stratege und Innovationsexperte. Er wurde zum "Global Innovation Expert No.1" gewählt, ist Buch-Autor und tritt weltweit als Keynote-Speaker auf.


Autor: Maximilian Flaig

Maximilian Flaig studierte Amerikanistik in München, volontierte bei W&V und schrieb währenddessen auch für die Süddeutsche Zeitung. Der gebürtige Kölner verantwortet die Themenbereiche Performance & Analytics, KI & Tech sowie SEO und hat ein besonderes Faible für Sportmarketing.