
Zukunftsforscher im Interview :
US-Wahl: "Das Undenkbare ist jetzt eingetreten"
Das Ergebnis der US-Wahl ist noch immer offen. Der Zukunftsforscher Bernd Thomsen erklärt, wo die Demoskopen versagt haben und warum Trump nicht durch Politik, sondern seine Marke angetrieben wird.

Foto: Thomsen Group
In diesen Stunden wiederholt sich Geschichte. Wieder schneidet Donald Trump deutlich besser ab, als die Demoskopen angenommen hatten. Der amtierende US-Präsident liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden. Ausgang? - Ungewiss. Bis alle Stimmen ausgezählt sind, wird es wohl noch Tage, vielleicht sogar Wochen dauern.
Die Zukunft kann niemand exakt vorhersagen. Selbst Zukunftsforscher wie Bernd Thomsen nicht. Trotzdem ist der CEO der Managementberatung Thomsen Group seit 35 Jahren ziemlich erfolgreich darin, Prognosen zu stellen. Thomsen berät Regierungen und Unternehmen, schreibt Bücher und eine Kolumne im Handelsblatt. Im W&V-Interview spricht er über die US-Wahl, die gerade an Dramatik kaum zu überbieten ist.
Herr Thomsen, Trump erklärt sich eigenmächtig zum Wahlsieger, bevor das Ergebnis feststeht. Wie gefährlich ist diese Strategie?
Die für Trump typische und von ihm maximierte Spaltung der US-Gesellschaft zeigt sich auch hier. Er tat es, obwohl Millionen Stimmen noch gar nicht ausgezählt worden waren. Das ist völlig absurd. Und brandgefährlich. Das Recht zu wählen, ist ein wichtiges eines jeden Bürgers in der Demokratie. So was zu tun, lässt an banale Autokraten denken, aber nicht an eine Demokratie. Und die nimmt Schaden. Jede Stimme zählt. Das ist ihm aber schnurz, wieder spricht Trump ohne Beweis und Grund von Betrug, den er wochenlang bereits auf Briefwahlstimmen projizierte, die Menschen wegen der Corona-Pandemie so oft nutzten wie nie zuvor in der Geschichte. Vermeintlich agierte Trump nur so, um sich den Klageweg zu öffnen, sollte er nicht gewinnen. Selbst eine so wichtige Voraussetzung der Demokratie wie den friedlichen Übergang von einem zum nächsten Regierungschef wollte er wochenlang nicht zusichern. Am vergangenen Wochenende fragte ich in meiner Kolumne des Expertenrates noch: "Wird Trump sich selbst vorher zum Sieger erklären?" Genau das Undenkbare ist jetzt eingetreten.
Trump schneidet bei der Wahl deutlich besser ab als erwartet. Hatte er die bessere Marketing-Kampagne?
Das Land hatte vielmehr die schlechtere Marktforschung. Die war es ja, die die Erwartungshaltung schürte. Vielen Menschen ist die Person schlichtweg peinlich - auch wenn fast die Hälfte der Amerikaner verschiedene politische Inhalte der Republikaner als richtig teilen. Der Marktforschung ist es nicht gelungen, aufgrund erwarteter sozialer Unerwünschtheit formulierten Schwindel von Befragten zu erkennen. Kein Wunder, sie berücksichtigt nicht aktuelles Marktforschungswissen, wie etwa die Analyse nonverbaler Kommunikation. Sie setzte stattdessen z.B. auf schnelle Telefoninterviews.
Verändern die aktuellen Biden- und Trump-Auftritte vom Wahltag die Personenmarken der beiden Politiker?
Mit diesem W&V-Sprech würden Sie Trump überglücklich machen. Genau so sieht er sich, die "weltbeste" Personenmarke, versteht sich. "Entertainer in Chief", eben. Und tatsächlich treibt diesen Mann offensichtlich weder Politik noch Unternehmertum an, das Wohl anderer Menschen schon gar nicht. Auch Inhalte nicht wirklich. Sondern nur eines: seine eigene Geltungssucht, der er selbst während und nach seiner Covid 19-Erkrankung nicht abzuschwören vermochte. Da bleibt sich Trump treu. Was auch für Biden gilt: versöhnend und langweilig. Noch heute sind viele davon überzeugt, dass J.F. Kennedy Präsident wurde, auch weil Nixon in der TV-Debatte 1960 schwitzte und der charismatische - gar nicht langweilige - Kennedy nicht...
Der Ausgang der Wahl ist weiterhin offen. Wie wirkt sich diese unklare Situation auf die Stimmung im Land und das Konsumverhalten aus?
In der Corona-Zeit ist vieles ohnehin anders. Die Börsen haben diese Situation schon eingepreist. Aber wenn Undemokratisches noch offenbarer werden sollte, wird es nicht reichen, von angeheizter Stimmung zu sprechen!
Trumps Politik gilt als sehr wirtschaftsfreundlich. Zurecht?
Die breite Ablehnung von Trump durch aufgeklärte Medien und Bürger half ihm politisch. Damit punktete er als Feind der Feinde der amerikanischen Mittelschicht, die sich zu oft der Verachtung der "linksintellektuellen Oberklasse" ausgesetzt fühlte. Trumps Spaltung der Gesellschaft rückt sogar sonst wahlentscheidende Fragen in den Hintergrund, die auch die Wirtschaft betreffen.
Während seiner Amtszeit hat es keinen Krieg gegeben, und die Arbeitslosigkeit befand sich vor Corona mit 3,5 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit Dezember 1969. Langfristig jedoch wird die Beschädigung der Demokratie, die Spaltung der Nation auch der Wirtschaft schaden. Zukunftsentwicklungen, die unsere Gruppe unter Auswertung von Trilliarden Daten der Veränderung fortwährend als Grundlage unserer Beratung nutzt, zeigen eines eindeutig: Kollaboratives Tun wird Gesellschaften prägen, ganz gleich, ob wir von Bürgergesellschaften oder Unternehmen sprechen.
In gemeinschaftlicher diverser Zusammenarbeit schlägt die bessere Lösung die gute. Weil Konsens erreicht werden kann, auch wenn er oft auf Basis eines Kompromisses erzielt wird. Teilhabe ist morgen, Herrschaftswissen ist gestrig, auch wenn viele, darunter Wirtschafts- und Staatslenker wie Trump, das noch nicht wahrhaben wollen. Teilhabe ist der Herzschlag der Demokratie. Spaltung ist jedoch ihr Herzinfarkt! Und nichts ist wirtschaftsfeindlicher als das.
Prof. Bernd Thomsen lebt in Miami und Hamburg, ist CEO der Thomsen Group, einer globalen Managementberatung mit Zukunftsexpertise, die seit mehr als 35 Jahren ausgewählte Regierungen und Unternehmen der wichtigsten Industrien dabei unterstützt, Chancen des Wandels zu nutzen. Thomsen ist Zukunftsforscher, Stratege und Innovationsexperte. Er wurde zum "Global Innovation Expert No.1" gewählt, ist Buch-Autor und tritt weltweit als Keynote-Speaker auf.