Bundestagswahl:
Die Wahlwerbespots im Kreativ-Check
Ein Film kann nur so stark sein wie das Skript. Und das ist das Wahlprogramm der Parteien. Agenturchef Friedrich Tromm, TryNoAgency, hat sich eine subjektive Auswahl der Spots der Bundestagsparteien und ihrer Frontleute kritisch angesehen.

Foto: Deutscher Bundestag/Simone M. Neumann
CDU
"Gemeinsam Nachmachen" wäre der bessere Claim für das, was die CDU hier filmisch ins Feld führt. Der eine Spot wirkt wie ein Spin-Off der "Mutter aller Imagefilme". Nur, dass es diesmal halt nicht um "Didis Obststandl" geht. Sondern um Deutschland.
Unter uns: Beim Versuch, Armin Laschet per Blackfacing in einen ehrlichen Bergmann zu verwandeln, hat die Maske etwas übertrieben. Szene streichen. Ist eh schon ’ne Menge Holz mit der Kohle.
Der andere Film, der sich stilistisch an den FDP-Werbemitteln der letzten Saison orientiert, transportiert auf einfühlsame Art, wie schlimm das Leben mit Legasthenie ist. Glaube ich. Kann ich aber nicht genau sagen, weil ich nach ungefähr vier Sekunden nicht mehr so schnell mitlesen konnte. Hektische Schnitte und so viel Text, dass man das gesamte Wahlprogramm hätte unterbringen können. Merke: Auch wenn es der Junior Motion Designer als Entrepreneur in Residence animiert, ist es noch nicht zwangsläufig jung, modern und wirtschaftlich kompetent.
Vielleicht wähnte man sich aber auch schon so im Besitz der Macht, dass es einfach nur allen egal war. Bisschen auf Bergmann machen. Bisschen Wind machen. Bisschen auf betroffen machen – und zack, fertig ist der Kanzler.
Ob das langt?
SPD
Mit dem ersten Film hat die SPD bereits für Aufsehen gesorgt. Sich selbst positionieren, indem man alle Alternativen diskreditiert: Nicht sozial. Aber clever. Kann man schlecht ignorieren. Das ist gut. Sehr gut sogar.
Bei allen anderen gilt die Devise: "Put the tax payers money where your mouth is." Hier wurde mit wenig viel erreicht. Chapeau, liebe Kollegen von BrinkertLück Creatives.
Politiker als hohle Puppen darstellen könnte natürlich auch leicht nach hinten losgehen, wenn die anderen die Eier hätten, mit den bisherigen und künftigen Inhalten und Leistungen der SPD zu kontern. Aber da diese Art von Mut zur Zeit nirgendwo stattfindet, haben sie der Chuzpe der Matroschka-Offensive wenig entgegenzusetzen.
Consumer Centric gedacht: Gegen alle. Aber für dich.
Klar. Weniger Brand, mehr Performance Werbung. So wie auch der klare CTA zur Briefwahl. Umfragen zeigen: Funktioniert.
Und jetzt – ganz frisch – der neue Spot: Olaf Scholz in Personal-Union.
Die Strategie der letzten Monate wird fortgeführt: Voll auf den Kandidaten geschnitten, die (ungeliebte) Partei bleibt ungenannt. Und es funktioniert. Scholz steigt ins Thema ein, nennt Zahlen, setzt sich konkrete Ziele, bleibt unpeinlich. Im Drehbuchjargon würde man das "Contrast creates Character" nennen. Und daraus ergibt sich "Character drives the plot". Fazit: Hanseatische Bescheidenheit trifft Kompetenz.
Oder kurz: Kanzler-reif
Die Grünen
Dass sich der Spot an ältere Wähler richtet: Vielleicht gar nicht so falsch. Schließlich müssen die Grünen ihre Zielgruppe nicht mehr überzeugen, sondern die Wechselwähler. Ob man sie jedoch mit einschläfernden Symphonien erreicht, sei dahingestellt.
Die Grünen haben also einen Heimatfilm gemacht. Macht ja auch Sinn. Damals, zwischen 1948 und 1960, als an die 13 Millionen Deutsche sich eine neue Heimat suchen mussten, als Mangel, Hunger und Not auf der Tagesordnung standen, wollten sich alle in der ungefährlichen Mitte ansiedeln. Seichte Singspiele hatten Hochkonjunktur. Bäuerliche Romantik statt Verstädterung, idealisierte Natur statt Industrialisierung. So lockte alleine der "Förster vom Silberwald" 22 Millionen Menschen in die Kinos (Zum Vergleich: "Good-Bye Lenin" nur 7 Millionen).
Insofern ist die Kritik am Wohlfühl-Wahlmusical, die vieler Ort laut wird, nicht so ganz nachvollziehbar.
Der Spot zahlt perfekt auf die Brand Equity der Grünen ein. Sorgt bei ein paar Hunderttausend noch Unentschlossenen für ein wohlig warmes Kuschelgefühl in der Magengrube. Und könnte dazu führen, dass sie in der postfaktischen besseren Welt des grünen Elysiums eine neue Heimat finden.
FDP
Person vor Inhalte. So könnte man den Lindner-Spot beschreiben. Die FDP kommt nur in Grautönen darin vor.
Der Anteil der Gründer in Deutschland betrug 2020 1,4 Prozent. Der Anteil der smarten Kreuzberger Werbekünstler dürfte noch etwas darunter liegen. Aber immerhin: Diese beiden Zielgruppen holt der Spot total ab. Die, plus die Zielgruppe "Christian Lindners". Und wenn es um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands geht, zählt ja bekanntlich jede Stimme.
Formal spricht der Spot an. Art Direction können die Macher der Kampagne. Inhaltlich bleibt das Script autoreferenziell: "Und das alles beschäftigt dich bis tief in die Nacht. Aber obwohl es dich die ganze Zeit beschäftigt, hat es sich nicht erledigt."
Alle 11 Minuten verliebt sich ein Gründer in Christian Lindner.
Fazit:
Bisher gilt bei den meisten Wahlwerbespots "Einer für alle". Damit eigentlich für keinen so richtig. Eine moderne Bewegtbildkampagne sollte mit einzelnen Messages in einzelnen Assets an einzelne Zielgruppen ausgespielt werden. Stattdessen inszenieren sich Parteien in 90 Sekunden als perfekten Partner für jeden. Auch, wenn der Grünen-Spot sich klar an die Generation Gold richtet und der neue CDU-Spot tendenziell die Gen-Z abholen soll.
Statt direkt 100 Varianten zu drehen, thematisch auf Wähler zuzuschneiden und zielgruppengerecht auszuspielen, werden alle Kernbotschaften in einem 90-sekündigen Sammelsurium ohne klares Narrativ präsentiert.
Wenn alle nur aus Angst, ein Thema zu unterschlagen, das gleiche Stockbild etwas erzählen lassen, ist der Vorwurf des filmischen Einparteienstaates schlecht von der Hand zu weisen.
Zum Autor: Friedrich Tromm ist Gründer und Geschäftsführer der Creative Company TryNoAgency, den "Einhorn-Machern". Gemeinsam mit seinem Gründungspartner Stefan Nagel hat er bereits mehr als 160 Unternehmen und NGOs betreut. Außerdem Wahlkampf geführt wie 2016 in Moabit für Florian Nöll ("Politiker reden, Nöll macht").