Wenig Ladestationen:
Autobranche sieht Hochlauf der Elektromobilität gefährdet
Überall und jederzeit unkompliziert laden: Das muss aus Sicht der Autobranche das Ziel bei E-Autos sein - davon sei man weit entfernt. Der Branche macht noch etwas anderes zu schaffen.
Die deutsche Autoindustrie sieht den Hochlauf der Elektromobilität in Deutschland gefährdet. Als Grund nannte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard
Müller: "Deutschland hängt beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für die E-Autos extrem hinterher." Müller sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Um die Menge der E-Autos, die die Bundesregierung vorsieht, auch wirklich erreichen zu können, müssten pro Woche etwa 2000 neue öffentliche Ladepunkte installiert werden - tatsächlich sind es gerade mal 300. Heißt im Klartext: Das Tempo muss sich versiebenfachen."
Außerdem sollte aus Müllers Sicht das Wallboxen-Programm verlängert werden, das den Einbau eines Ladepunkts in der heimischen Garage fördert. Die staatlichen Fördergelder dazu sind erschöpft, bei der staatlichen Förderbank KfW können keine Anträge mehr gestellt werden. Ein wachsendes Kundenbedürfnis werde sein, schnell und günstig zu laden, so die VDA-Präsidentin. "Die Ladeinfrastruktur muss dem E-Auto Bestand vorauslaufen. Nur so gewinnen wir Verbrauchervertrauen und ermutigen die Menschen, in ein Elektroauto zu investieren."
Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich das Ziel von mindestens 15 Millionen vollelektrischen Pkw bis 2030 gesetzt. Zum 1. Januar 2020 waren laut Kraftfahrt-Bundesamt 309 000 reine E-Autos zugelassen, dazu kamen rund 280 000 Plug-in-Hybridfahrzeuge, die einen Elektro-Antrieb mit einem Verbrenner kombinieren. Die
Neuzulassungen von reinen E-Autos sowie Plug-in-Hybridfahrzeugen sind 2021 weiter deutlich gestiegen, auch wegen erhöhter staatlicher Kaufprämien.
"Die Autoindustrie kann 15 Millionen E-Autos bauen", sagte Müller. "Aber der Verbraucher nimmt sie nur an, wenn er sich zu 100 Prozent darauf verlassen kann, sein Auto überall und jederzeit unkompliziert laden zu können."
Plug-in-Hybride in der Diskussion
Plug-in-Hybride würden für die nächsten Jahre eine wesentliche Rolle für den Klimaschutz spielen, so Müller. Der durchschnittliche Verbraucher komme auf 37 Kilometer am Tag, das schaffe ein Plug-in-Hybrid im elektrischen Fahrmodus. "Gibt es doch längere Strecken, steigen die Sorgen. Reichweitenangst bei Langstreckenfahrten oder noch lückenhafte Ladeinfrastrukturen gibt es beim Plug-in-Hybrid nicht. Der kann wenn nötig beides, mit Strom und mit Benzin oder Diesel fahren. Das vereinfacht den Einstieg in die E-Mobilität für viele Menschen."
Bei Umwelt- und Klimaverbänden stehen Plug-in-Hybridfahrzeuge, die einen Elektro-Antrieb mit einem Verbrenner kombinieren, dagegen in der Kritik. Umstritten ist, wie viel sie wirklich im rein elektrischen Betrieb gefahren werden. Ab 2023 soll es nach den Plänen der Ampel-Koalition eine Reform der staatlichen Förderung geben. Dann sollen nur noch Elektrofahrzeuge gefördert werden, die nachweislich einen positiven Klimaschutzeffekt haben. Dieser solle über den elektrischen Fahranteil und eine
elektrische Mindestreichweite definiert werden.
Hohe Energiepreise und Rohstoffmangel
Müller warnte in der Verkehrspolitik davor, dass Bürger mit niedrigen Einkommen überproportional belastet werden. "Die hohen Preise für Energie, gerade auch für Benzin, bringen viele jetzt schon an ihre Grenzen. Mobilität muss für jeden immer zugänglich und bezahlbar sein. Die Pendlerpauschale ist ein wichtiger sozialer Ausgleich. Sie sollte bestehen und der Kostenentwicklung angepasst werden."
Zur Lage in der Branche sagte Müller, es gebe Licht und Schatten. "Positiv ist: Wir haben volle Auftragsbücher und wollen die Aufträge natürlich auch alle bedienen. Die deutsche Autobranche investiert dafür Rekordsummen. Bis 2026 gehen 220 Milliarden Euro in Digitalisierung, neue Antriebe und Elektromobilität. Das ist eine gewaltige Summe, die auch wieder erwirtschaftet werden muss."
Allerdings wirke sich der weltweite Halbleiter- und Rohstoffmangel weiterhin negativ auf die Produktion aus: "Wir liegen nach den aktuellen Zahlen noch immer unter den schlechten Werten des Krisenjahres 2020. Im zweiten Halbjahr 2022 sollte sich die Situation hoffentlich entspannen." Wegen Lieferengpässen bei Halbleitern sind die Neuzulassungen in Deutschland in diesem Jahr deutlich zurückgegangen. (dpa/st)